Ich schaffe das nicht
"Als Student habe ich ganz oft das Gefühl, das Studium nicht zu schaffen oder mit einer Note abzuschließen, mit der ich auf dem Arbeitsmarkt nichts anfangen kann.
Meine Prüfungsangst ist übergroß: Ich lerne, kann aber den Lehrstoff nur schwer behalten. Das macht mich nervös. Immer wieder muss ich viele Wiederholungen der Lehrinhalte vornehmen und schon Tage vor einer Prüfung kann ich nicht schlafen. Die anderen Studentinnen und Studenten sind intellektuell viel besser, lernen schneller und können mit ihrem Wissen viel mehr jonglieren, als ich. Sie sitzen abends in der Studentenkneipe oder sind im Kino, im Bistro oder wo auch immer, während ich am Schreibtisch sitze, zu jedem Text Exzerpte, also schriftliche Zusammenfassungen schreibe, diese ständig lese und völlig erschöpft ins Bett falle. Mich verfolgen diese Gedanken und Versagensängste so sehr, dass ich inzwischen schon davon überzeugt bin: Ich schaffe das nicht.
Hinzu kommen diese extreme Anonymität und dieser Massenbetrieb an der Uni. Ob ich das schaffe oder nicht, interessiert hier strenggenommen keinen. Die Vorlesungen werden knallhart durchgezogen. Ich bin nur dabei, alles mit- und abzuschreiben. Groß mitdenken ist kaum möglich, so schnell werden die Zusammenhänge dargestellt. Also muss ich jede Vorlesung nacharbeiten, was immens viel Zeit in Anspruch nimmt. Klar, ich kann mit meinen Professoren sprechen und setze mich mit meinen Kommilitonen zusammen, die das auch nicht alles mal eben so beherrschen. Und dabei erlebe ich hier und da so etwas wie Hoffnung. Aber die ist nie von langer Dauer.
Wenn ich in der Mensa, Cafeteria oder sonst wo mit meinen Kommilitonen über irgendein Thema diskutiere, komme ich mir oft ziemlich unwissend vor. Bin ich hingegen mit mir alleine, fallen mir all die Informationen, die ich selber zu dem entsprechenden Thema habe, wieder ein, aber in einer Gruppe oder im Beisein eines Dozenten bin ich wieder wie blockiert.
Ich habe auch ganz oft Angst, für die Prüfungen nicht das Richtige gelernt zu haben. Die Prüfungsthemen sind stets so umfänglich, dass man kaum alles wissen kann - zumindest nicht so viel, dass man dafür eine gute Note bekommt. Also heißt es immer wieder: Mut zur Lücke. Das macht mich wahnsinnig. Welche Lücke kann ich lassen? Was muss ich auf jeden Fall perfekt beherrschen? Ist meine Zukunft von meinem Prüfungsglück abhängig? Wie gewinne ich Souveränität?
Das Gefühl des Nichtschaffens habe ich aber auch in anderen Lebenssituationen. Sobald es z.B. um behördliche Angelegenheit geht oder ich Formulare ausfüllen oder Informationen zuschicken soll, beginne ich fahrig zu werden. Der Puls geht hoch und die Angst, Fehler zu machen, ist bereits jetzt schon groß. Statt ruhig zu bleiben und mir das, worum es geht, erst einmal anzuschauen und zu überlegen, wie ich Schritt für Schritt vorgehen muss, bin ich sogleich mit dem Gedanken befasst: „Das schaffe ich nicht.“ Also schiebe ich es vor mir her. Solange ich daran nicht denke, ist alles gut. Fällt mir die Sache aber wieder ein, bekomme ich eine Art Adrenalinstoß und meine Stimmung kippt sofort in Richtung Nervosität, Anspannung, Angst. Also verdränge ich das Thema so lange, bis ich vor der Situation stehe, es nun wirklich erledigen zu müssen, möchte ich keine noch größeren Schwierigkeiten bekommen. Bekomme ich durch Freunde oder meine Familie Hilfen, ist alles wieder in Ordnung. Ich weiß jetzt nämlich, dass ich diese „Hürde“ schaffen werde, sodass die Sache, um die es geht, von mir nun gar nicht mehr als „Hürde“ empfunden wird. Meine Angst und Fahrigkeit sind sofort weg und ich atme erleichtert durch.
Eigentlich entscheide ich vieles in meinem Leben nicht wirklich alleine. Oft frage ich bei meinen Entscheidungen die Meinungen Dritter ab, aus Sorge, die für mich falsche Alternative zu treffen. So manches Mal höre ich: „Sag mal, kannst du irgendetwas auch mal alleine entscheiden? Ständig fragst du.“ „Überlege doch mal selber. Wir sind auch nicht schlauer als du.“ „Mein Gott, was bist du unbeholfen. Von wem hast du das?“ „Wie bist du eigentlich bis heute durch dein Leben gekommen?“ Solche und andere Sätze höre ich öfter. Ich will einfach keine Fehler oder Fehlentscheidungen treffen und sichere mich daher lieber vorher bei Dritten ab. Was ist daran so schlecht? Ich verstehe das nicht. Wer Hilfe braucht, muss sich Hilfe suchen; und genau das mache ich doch. Ich gehe eben sehr verantwortungsvoll mit den an mich gestellten Anforderungen um; das ist doch positiv. Andere fragen doch bestimmt auch mal Dritte nach ihrer Meinung, bevor sie eine Entscheidung treffen oder sich an eine Aufgabe heranwagen. Und, na klar entscheide ich vieles selber. Das bekommen die anderen nur nicht mit, so wie ich das bei ihnen auch nicht mitbekomme. Wie kommen also die anderen darauf, mir zu sagen, ich sei unbeholfen, sollte mal alleine entscheiden und nicht immer fragen. Diejenigen, die in einer Beziehung leben, was bei mir derzeit nicht der Fall ist, sprechen mit ihrem jeweiligen Partner / ihrer Partnerin. Logisch, dass die mit ihren Themen nicht „nach draußen“ müssen. Aber letztendlich verhalten sie sich doch genauso wie ich. Sie tauschen sich mit ihrem partnerschaftlichen oder freundschaftlichen Gegenüber aus. Für mich stand fest: So kann es nicht mehr bleiben.